Semper aliquid haeret – Notwendige Änderungen in der Strafjustiz aus kommunikativer Sicht

Das Plutarch zugeschriebene Diktum „semper aliquid haeret“, wonach „immer etwas hängen bleibt“, ist in seiner Substanz die genaue Beschreibung des Hauptproblems der Berichterstattungen bei juristischen Auseinandersetzungen. Aus Sicht der Justiz scheint es in Strafverfahren oft sehr einfach: Es gibt einen Verdacht, auf dessen Basis eine Anklage, im Hauptverfahren werden Beweise gewürdigt und am Ende wird im Idealfall zweifelsfrei die Schuld, oder Unschuld festgestellt. Soweit so schlecht. Denn viel zu oft blenden Juristen die fatalen Nebenwirkungen für die Betroffenen aus, die  – auch im Falle eines lupenreinen Freispruchs – durch ein solches Verfahren entstehen können. Job-Verlust, finanzielles Ende, familiäre Zerrüttung und gesellschaftliche Ächtung sind keine seltenen „Kollateralschäden“ der Strafverfolgung. Besondere Dynamik erhalten diese Erscheinungen durch die Berichterstattung über Verfahren, weniger durch die Urteile selbst! Und damit befindet man sich auf einmal nicht mehr in der durch Verfahrensordnung, Richter und Gesetzen geschützten Umgebung des Gerichtssaals, sonder in der freien Wildbahn der Öffentlichkeit.

Drei wichtige Baustellen werden derzeit in Juristenkreisen intensiv diskutiert, die abseits der rein juristischen Argumente, große kommunikative Bedeutung haben:

1. Derzeit reicht eine anonyme Anzeige, um von der Justiz als „Beschuldigter“ geführt zu werden. Selbst wenn sich in kürzester Zeit die Anschuldigung als völlig substanzlos herausstellt, reicht es allemal für eine mit unter ungemein schädliche Berichterstattung unter dem Titel „XY im Visier der Staatsanwaltschaft“. Bedenkt man, wie (über)vorsichtig z.B. aktiennotierte Unternehmen auf Grund der vorherrschenden Compliance-Praxis sind, kann eine solche Zeitungsmeldung dramatische Folgen nach sich ziehen. So ist es sehr zu begrüßen, dass Justizminister Brandstetter Änderungen in den Raum gestellt hat, in etwa, dass der Begriff der „verdächtigen Person“ vorgelagert eingeführt werden könnte.

2. Besonders heiß diskutiert wird die Rolle der Gerichtssachverständigen. Ein eigens zu diesem Thema vom Justizministerium abgehaltenes Symposium machte deutlich, dass zwar jeder Änderungsbedarf sieht, jedoch die Lösungsvorschläge weit auseinandergehen. Die Probleme liegen auf der Hand: Als zentraler Kompetenzträger zu komplexen Sachverhalten kommt dem Sachverständigen eine überragende Rolle im Prozess als „Schattenrichter“ zu. Teils enorme finanzielle Anreize – in einem Fall ist von 5 Millionen Euro Honorar in einer einzigen Wirtschaftsstraf-Causa die Rede – für die Sachverständigen, lassen immer wieder den Verdacht der Willfährigkeit aufkommen. Die Auswahl der Sachverständigen aus einem extrem kleinen Personenkreis ist sehr intransparent, die Weiterbestellung durch das Gericht, nach Bestellung durch die Staatsanwaltschaft, sorgt in allen großen Prozessen für große Diskussionen, die wohl noch viele Instanzen beschäftigen werden. Eine beunruhigende Zusammenfassung dieser Problemfelder des Sachverständigenwesens bietet ein brandaktueller Bericht des Rechnungshofes über das Staatsanwaltliche Vorverfahren. Kommunikativ bieten Gutachten oftmals den Stoff für dramatische mediale Vorverurteilungen. Journalisten publizieren ihnen zugespielte Gutachten als unumstrittenen Wahrheiten und ohne sich mit den entlastenden Argumenten auseinanderzusetzen. Der Verlauf vieler großer Verhandlungen zeigt, wie inhaltlich angreifbar die Gutachten am Ende oft sind. Der Schaden entsteht jedoch bereits durch den Medienbericht unter der Schlagzeile „Gutachten belastet Angeklagten schwer“.

3. Die Handhabung des Untreue-Paragraphen 153 StGB stellt mittlerweile ein echtes Hemmnis in zahlreichen Unternehmen dar. Viel zu oft entsteht der Eindruck, dass unternehmerische Entscheidungen mit der Weisheit des Rückblicks durch Juristen betrachtet werden und es dann zu Strafverfolgungen kommt. Auch wenn, wie zuletzt bei einer Enquete im Parlament, Spitzenjuristen nicht müde werden zu betonen, dass sich die Judikatur dazu nicht geändert hätte und niemand etwas zu befürchten hat, wenn man sich korrekt verhält, ist die Wahrnehmung zahlreicher Rechtsunterworfener eine völlig andere. Die Folge ist eine Lähmung in den Unternehmen, werden doch nun mitunter riskante Entscheidungen gar nicht mehr, oder erst nach der Einholung teurer und langwieriger Vergabe-, Zivil- und Strafrechtsgutachten getroffen. Ab einer mutmaßlichen Schadenssumme von nur 50.000 Euro ist man gesetzesgemäß mit bis zu 10 Jahren Haft bedroht. Medial bedeutet das, dass jede anonyme Anzeige einem Manager sofort die Headline einbringt „XY drohen 10 Jahre Haft“.

Es ist gut, dass die drei angeführten Problemfelder derzeit diskutiert werden und sich Reformen abzeichnen. Man sollte jedoch bedenken, dass es dabei nicht nur um rein juristische und prozessorale Aspekte geht – die zweifellos zentral sind -, sondern auch mediale und kommunikative Ebenen existieren, die für die Betroffenen oft Fronten eröffnen, die weit über den Gerichtssaal hinausgehen. Oftmals hat man das Gefühl, dass seitens mancher Justiz-Vertreter diese (ungewünschten?) Nebeneffekte als Nebensächlichkeiten abgetan werden, mit denen man in einem Rechtsstaat halt leben müsse. In Zeiten immer stärker wachsender, begrüßenswerter Öffentlichkeit und medialer Aufmerksamkeit gegenüber tatsächlichen oder auch nur vermuteter Rechtsbrüche, sollte sich aber auch der Gesetzgeber und die Justiz hier ihrer großen Verantwortung bewusst sein und entsprechende Vorkehrungen treffen.

Der Artikel ist in gekürzter Form am 16. April 2014 im Wirtschaftsblatt als Gastkommentar erschienen. -> Link